Ich habe gestern zu meinem Freund gesagt, dass man nicht auf einer Baustelle arbeiten sollte, wenn es nicht die eigene ist.
Anders betont hätte ich auch sagen können, dass es total unlogisch ist auf einer Baustelle zu arbeiten, die nicht die eigene ist. – Vorausgesetzt natürlich, man hat überhaupt eine Baustelle.
Da ich aber davon ausgehe, dass Baustellen zum Beispiel Beziehungen, persönliche Projekte oder Vorhaben, Abschlussarbeiten, diverse geistige oder körperliche Schmerzzustände sein können, so glaube ich, dass wahrscheinlich jeder Mensch auf dieser Erde eine Baustelle hat. Und somit sollte sich auch jeder mit dieser meinen Abhandlung zu Baustellen irgendwie identifizieren können.
Ich habe (u.a.) ein Faible für “echte” Baustellen, beziehungsweise: heruntergekommene, alte Gebäude.
Nachdem ich mir nach jeder bisherigen Baustellengeschichte (aus porigem Altbaubestand) immer wieder gesagt habe: das machst Du nie wieder!, so habe ich dennoch wieder damit angefangen und bearbeite derzeit die größte Baustelle, die ich jemals hatte. – Und merkwürdigerweise fühlt es sich genau richtig an.
Keine Reue, kein Jammern. Einfach machen. Stück, für Stück, für Stück, für Stück, für Stück. Manchmal denke ich, dass Zerstörung und Verfall nur dafür stattfindet, damit wieder etwas aufgebaut werden kann. Denn das ist es, was die Natur so liebt. (Anm. von Sean, dem Freund: In George Orwell’s 1984 ist genau das der Grund für den permanenten Krieg und die Zerstörung: nämlich der permanente Wiederaufbau, “Dann gibt’s was zu tun!”)
Auf einer Baustelle redet man nicht viel. Man geht nicht ans Telefon, man tippt keine Nachrichten, man schaut nicht in die Röhre und man liest auch nicht. Man kann zwar Musik und Podcasts auf Baustellen hören, aber meistens ist es dafür zu laut. Es gibt Baustellengeräusche. Manchmal geht etwas schief, dann kippt etwas um, man flucht, man räumt auf, man macht weiter, man hält den Mund, man ist still, man ist bei sich. Man kommt weiter und man kann es sehen, dass man weiter kommt – man ist ja auf einer Baustelle, da geht es nur darum weiter zu kommen, weiter zu bauen. Nichts weiter. Man benutzt seine Hände, seine Augen, seine Gedanken, seine Sinne, seine Imagination, seine Logik, seinen Körper. Es ist staubig, es ist schmutzig, man schwitzt, die Nase läuft, man wischt sie an seinen Ärmeln ab. Die Kleidung ist schmutzig, man robbt auf allen Vieren, liegt, steht, streckt, krümmt und dehnt alles was man hat.
Ganz einfach gesagt: man ist.
Die Entscheidung auf eine Baustelle zu gehen und daran zu arbeiten beinhaltet auch: nirgendwo anders hinzugehen. Zum Beispiel auch nicht dorthin, wo die Leute sich so treffen und sich amüsieren oder auch arbeiten (bzw. messen).
Während man also auf der Baustelle baut, da kommen einem allerlei Gedanken. Viele Ideen. Man überlegt natürlich, was andere Leute so mit ihrer Zeit machen – so am Wochenende. Man denkt dann alle haben frei, freuen sich, bummeln, spielen, gehen spazieren, flanieren, treffen Leute, vertreiben sich die Zeit. Man beneidet diese Leute. Aber für diese fröhlichen Leute ist das Wochenende schwupps vorbei – einmal wieder viel zu schnell. Nach einer Ewigkeit auf der Baustelle allerdings ist die Arbeit immer noch nicht fertig, man hat noch sehr viel vor sich, man hat alles schon 1000 Mal durchdacht und an 1000 Schrauben gedreht. Und der Tag ist immer noch nicht vorbei. Es ist immer noch nicht alles geschafft. Darum geht es weiter. Dann leert sich der Kopf, dann kommt das Nichts – gepaart mit viel Moment. Der Flow.
Nach so einem Tag, da blickt man zurück und sieht, was man geschafft hat. Ist müde, ist froh und stolz. Isst zum Schluss ein warmes, deftiges Mahl mit gesundem Appetit, nimmt ein Bad und fühlt sich seelig. Man hat die Zeit gedehnt, den Kopf befreit, den Körper erlebt.
Darum liebe ich Baustellen.
Ich mache das für mich und für uns und für das Leben und für die Freiheit der Gedanken.
Und natürlich für die Schönheit, die so entsteht und die Seele pflegt.
Keine andere Baustelle kann das so gut wie die eigene.
(Keine andere Baustelle sollte das jemals können.)
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Ich liebe Baustellen. Und Anna. Und Annas Gedanken.
So gut zu lesen und so wahr und so klar.
Gibt mir den Fluss. Genau so. So muss es sein.
Hab´es ganz gut und bis hoffentlich sehr bald.
Stephanie! So schön. Ich danke Dir. Und ich lese auch so gerne Deine Gedanken. Das ist so wichtig und so schön, dass wir das alles teilen können. Und dann auch bald mal Wiedersehen! Ja, das kommt :)