Besonderes, Design, Gefundenes, Kreativarbeit, Kultur
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Was die anderen für Sachen machen: moralische Phobien.

Erstens:
Es geht um zwei Frauen und ein Buch.

Zweitens:
Es war einmal, da studierte ich.
Das war in Zürich und so manch eine/r hier mag sich dessen erinnern.
Dort lernte ich Bitten Stetter kennen. Judith Mair wiederum war Gastdozentin an eben dieser Zürcher Kunsthochschule und lehrte uns über Trends.
(Mit beiden kollaborierte ich auch schon bei der einen oder anderen Sache.)
Die genannten zwei Frauen haben nicht zum ersten Mal ihre Köpfe zusammengesteckt und haben nun wieder einmal etwas Neues und Bemerkenswertes realisiert.

Dieses Mal ist es das Buch Moral Phobia – erschienen im Gudberg Nerger Verlag (ehemals Gudberg) – gestaltet von Sascha Bente.

Drittens:
Hier ist ein Text dazu:

Avocado ist Superfood und Symbol-Frucht unserer Mittelschicht, denn sie ist grün und gut für Herz und Figur. Ihre „positiven“ Fette halten uns fit, so dass wir unsere Bikini Bridge bestmöglich auf Facebook teilen können, während wir die neusten Kleider aus der Conscious Collection von H&M mit gutem Gewissen alle zwei Wochen unser Eigen nennen. Tue Gutes für Dich und die Natur – das sind weltverbessernde moralische Appelle einer Feel-Good-Ökonomie, die uns durch disziplinierende Produkte helfen, uns selbst zu züchtigen. Lustvoller Exzess wird verpönt und gesellschaftlich unerwünschtes Handeln wird durch Ekelbilder und Sanktionen von Seiten der Politik, dem Markt und der Gesellschaft gestraft. Guilt-Free-Consumption verspricht Healthy Happiness, Individualität normiert sich im Jeggings-Idealkörper. Karma Konsum und Lessness werden zu den Modebegriffen. Herzlich Willkommen in Moralphobia

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Optimierung pur, authentisch und „raw“. Präventionskultur trifft auf Positivgesellschaft und protestantisches und puritanisches Verhalten setzt sich durch. Quantifiy yourself wird zur Religion erhoben und  Self Engineering verspricht kollektive Sicherheit. Diese Formen der Technologie des Selbst und des Total Designs uniformieren und domestizieren die Gesellschaft im Sinne einer massiven Vermarktlichung, die subversiv zu einer Verminderung der Vielfalt, zu Variety control, führt.

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Wir, die Herausgeberinnen Judith Mair und Bitten Stetter haben in Moralphobia diese aktuellen Tendenzen analysiert und sie gemeinsam mit Gastautoren, wie Sybille Berg und David Signer in einem ABC der Gegenwart festgehalten. Über 500 Phänomene, von Wanderlust, XXL-Verbote, Yes vegan bishin zu Zen Bootcamps machen eindrücklich sichtbar wie  Aufforderung zur Optimierung von Körper, Seele und Geist unseren Alltag dominieren: Tue Gutes für uns und den Markt.

Die Soziologin Dr. Mareike Teigeler beschreibt das Glossar wie folgt: „Diese Sammlung an Zeitgeist-Erscheinungen zeigt, wie Optimierung von einem inneren wie äußeren Druck angespornt wird, der in der Vermarktlichung und der In-Wert-Setzung des Einzelnen seinen Motor und gleichzeitigen Ausdruck findet. Der innere Druck, der darin besteht, die Reinheit eigener Authentizität vor ihrer Verunreinigung zu schützen, korrespondiert mit einem äußeren Druck, der im Zeichen der „Biopolitik“ Vorschriften zur Erhaltung körperlicher und geistiger Gesundheit generiert.

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So werden die äußeren Vorschriften vor allem für diejenigen als sinnvoll betrachtet, die dieser Eigenverantwortlichkeit nicht nachkommen können oder wollen. Verunreinigungen der eigenen und der gesellschaftlichen Reinheit lauern jedoch nicht nur von außen, durch Raucher, Dicke oder Hartz-IV-Empfänger, sondern auch im Innern. So zeigen sich erste Anzeichen des eigenen Scheiterns möglicher Weise bereits im falschen Frühstück oder der verpassten Yogastunde.

Das Zusammenwirken der in Moralphobia dargestellten alltagskulturellen Phänomene stellt den Zugang zu subtil wirkenden Mechanismen neoliberal agierender Strukturen her, indem die komplexe Verwobenheit moderner, ökonomisch aufgeladener Machtformen zur Geltung gebracht wird. Anstatt sich selbst einer moralischen Auslegung zu bedienen wird der Fokus auf die Effekte von Handlungen und Programmatiken gelenkt.“

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Wert zu lesen!
(Ich habe bald Geburtstag!..;)

(c) Alle Fotos: Sascha Bente

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